Die Blockchain ist in aller Munde. In den Augen ihrer Anhänger wird die Technologie alle Formen des Wirtschaftens und Bezahlens revolutionieren, Geld und Banken überflüssig machen und ein neues Internet ermöglichen, in dem die Plattform-Giganten Google, Facebook und Amazon wieder auf Normalmaß schrumpfen. Visionäre Medienmacher träumen bereits von einem Zaubermittel gegen die existenzbedrohenden Folgen der Gratiskultur im Netz, das endlich die faire Entlohnung von digitalem Journalismus auf ganzer Breite durchsetzt.
Geht es dagegen nach den Experten der Technologieberatung Gartner Group, dann müssen alle, die ihre Erwartungen (und ihre Ersparnisse) auf die Blockchain-Revolution gesetzt haben, in den nächsten Monaten ganz tapfer sein. Auf ihrem Gartner Hypecycle, der jedes Jahr die wichtigsten neuen Technologien nach Potential und Marktreife bewertet, rauscht die Blockchain (BC) im Sommer 2018 gerade vom „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ in das „Tal der Ernüchterung“.
Dazu haben auch die zahllosen Negativschlagzeilen über den Missbrauch der BC-basierten Kryptowährungen beigetragen. Der Bitcoin etwa scheint die Bösewichte und Despoten der Welt von der Mafia, über die Darknet-Community bis zu Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un so magisch anzuziehen als stecke das von James Bond gejagte Kriminellen-Kollektiv Spectre dahinter. So ist es kaum verwunderlich, dass der Preis für die Kryptowährung seit Ende 2017 um 60 Prozent gefallen ist. Fehlende Regulierung und die Angst vor Betrug verschrecken die Anleger.
Doch ebenso wie das World Wide Web, das nach einer überzogenen Anfangs-Euphorie um die Jahrtausendwende durch eine Phase von Pleiten und Korrekturen musste, bevor es seinen globalen Siegeszug im Massenmarkt antreten konnte, schreibt Gartner auch die Blockchain nicht ab. In etwa fünf bis zehn Jahren, so die Experten, könne das komplexe Verfahren tatsächlich seine großen Versprechen einlösen.
Worum geht’s? Das Internet hat in den vergangenen 25 Jahren ohne Zweifel Kommunikation, Information und Wissensaustausch ebenso revolutioniert wie Handel und Konsum. Tatsächlich bedient sich das Web aber bis heute uralter Methoden aus der Offline-Welt, um im Netz gehandelte Produkte und Dienstleistungen abzurechnen oder Beziehungen und Absprachen zwischen Geschäftspartnern zu regeln. Verträge müssen geschlossen, seitenlange AGBs akzeptiert werden und am Ende fließt Geld gegen Ware – ob per Überweisung, Kreditkarte oder Paypal.
Der Aufwand ist ebenso groß wie die Gefahr des Missbrauchs. Die Möglichkeiten für flexible Preis– und Geschäftsmodelle sind dagegen extrem begrenzt. Diese Defizite haben das Entstehen zentraler Strukturen („Plattform-Ökonomie“) begünstigt und einzelnen Intermediären (Google, Amazon, Apple, Facebook) eine monopolartige Marktposition ermöglicht, die grundsätzlich dem offenen Charakter des Webs widerspricht und diesen gefährdet.
Hier verspricht die Blockchain eine Revolution. Mit den Faktoren Dezentralität, Vertrauen und Wert steht sie für ein neues Internet-Paradigma, aus Sicht mancher sogar für ein neues Internet.
Die Blockchain zielt darauf ab, die Defizite des heutigen Plattform-Internets zu beseitigen. Ihre dezentrale Kooperationsstruktur soll ein technisches Ökosystem ermöglichen, das höchste Vertrauenswürdigkeit garantiert und eine wertbasierte Entlohnung erlaubt, die allen klassischen Zahlungs- und Verrechnungssystemen in einer bisher nicht vorstellbaren Weise überlegen ist. Anders als etwa bei Währungen oder anderen traditionellen Zahlungsmitteln entfallen Intermediäre wie Banken/Zentralbanken usw. sowie deren teure und unflexible Dienste und Interventionen. Transaktionen werden direkt und in Echtzeit zwischen den beteiligten Partnern nach einem zwischen ihnen festgelegten Wertmodell („Preis“) geregelt.
Damit zwei Parteien innerhalb der Blockchain Regeln und Absprachen ihrer Vereinbarung definieren und automatisch – ohne Mittelsmänner – abwickeln können, programmieren sie diese in einen sogenannten Smart Contract. Sobald die Blockchain beide Parteien identifiziert hat, tritt der Smart Contract in Kraft, löst die Leistung aus, misst und überprüft ihre Erbringung bis hin zur automatischen Bezahlung. Dies ist neben den Kryptowährungen eines der zentralen Anwendungsfelder für die Blockchain. Der entsprechende Verifizierungsprozess soll ineffiziente Anmeldeverfahren per E-Mail, Passwort oder Social Media-ID ersetzen. Die Prüfung einer Identität könnte dann in Echtzeit erfolgen.
Was bedeutet das für die Mediennutzung?
Vorstellbar wäre etwa, dass Nutzer, die sich nicht mit einer Flatfee, einem Abo oder einer Mitgliedsgebühr dauerhaft an eine Medienmarke binden wollen, nur für die Inhalte zahlen, die sie nutzen. Wenn sie dabei aber die Medienmarke in ihrem persönlichen Netzwerk empfehlen, Inhalte teilen und kommentieren oder sich aktiv auf die gezeigte Werbung einlassen, können sie den zu zahlenden Preis für den genutzten redaktionellen Inhalt bis auf null reduzieren.
Für Nachrichtenagenturen wären Geschäftsmodelle denkbar, wie sie etwa seit Jahren von den Börsen für ihre Kursprodukte angewandt werden. Danach sind die Echtzeit-Kurse, mit denen professionelle Handelsräume weltweit in Millisekunden arbeiten, um ein Vielfaches teurer, als die sogenannten Near-Time-Kurse, die mit deutlicher zeitlicher Verzögerung auf Konsumenten-Portalen ausgespielt werden. Für die professionellen Händler sind sie dann längst wertloser Schnee von gestern. Ähnlich gehen die Sportrechtevermarkter vor. Inhalte haben eben je nach Zielgruppe, Zeitpunkt und Kontext einen unterschiedlichen Wert. Die starren Abrechnungsmodelle von heute allerdings können das nicht annähernd abbilden und pressen Dutzende unterschiedlichster Kunden und Nutzungen in das immer gleiche Preisschema.
Erste Gehversuche und Pilotprojekte für die Medien-Blockchain sind gestartet oder in Vorbereitung:
- Die AP kooperiert mit dem New Yorker Blockchain-Startup Civil, um im ersten Schritt die Nutzung ihrer Inhalte im Web besser kontrollieren zu können.
- Kodak verspricht Fotografen mit seiner Blockchain-Plattform Kodak One die erfolgreiche Verfolgung von Content-Piraten.
- Noch einen großen Schritt weiter will der deutsche Silicon-Valley-Unternehmer Dirk Lüth gehen. Er wirbt bei deutschen Verlagen für sein Modell eines weltumspannenden Global Content Networks. Der Medienkonsum würde dabei über ein eigenes Krypto-Zahlungsmittel, den Media-Coin, verrechnet. Wie oben beschrieben, könnten Nutzer durch das Anschauen von Werbung oder das fleißige Teilen von redaktionellen Inhalten ihr Media-Coin-Konto auffüllen und diese dann gegen bezahlpflichtige Inhalte eintauschen.
Notizblock:
Meinolf Ellers
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