Studien zu Nachrichtennutzung und Nachrichtenkompetenz arbeiten oft mit verschiedenen Methoden und Definitionen und kommen so zu unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Aussagen. Das macht es schwierig, Handlungsempfehlungen abzuleiten und entsprechende journalistische und bildungspolitische Förderkonzepte zu entwickeln. Im Rahmen des #UseTheNews-Projektes der dpa und ihrer Partner haben Sascha Hölig und Leonie Wunderlich vom Leibniz-Institut für Medienforschung mit der Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) eine wissenschaftlich fundierte und strukturierte Übersicht („Synopse“) erarbeitet, in der die wichtigsten Studien verglichen werden. Fazit: Es bestehen große Wissenslücken sowohl bei Nutzerinnen und Nutzern als auch bei Lehrkräften sowie Defizite in der medialen und technischen Infrastruktur der Schulen.
In den letzten Jahren hat sich unsere Medien- und Informationslandschaft grundsätzlich verändert und damit auch die Mediennutzung sowie die Herausforderungen an die Kompetenzen insbesondere von jungen Nutzern und Nutzerinnen. Heutzutage gilt Medien- bzw. Nachrichtenkompetenz als Schlüsselqualifikation in unserer digitalen Informationsgesellschaft. Die Zunahme problematischer Phänomene wie die Verbreitung von Miss- und Desinformationen befeuern die Diskussion und Forderung nach dieser Qualifikation.
Dabei werden als Anknüpfungspunkte für die Vermittlung und Förderung nutzungs- sowie kompetenzbezogener Fähigkeiten oftmals einschlägige Studien herangezogen. Diese arbeiten oft mit verschiedenen Methoden und Definitionen und kommen so zu unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Aussagen. In einer strukturierten Übersicht („Synopse“) wurden daher die Erkenntnisse von 25 einschlägigen Studien zur Nutzung und Kompetenz verglichen. Im Ergebnis können unter anderem folgende drei Aspekte in Bezug auf die Informations- und Nachrichtennutzung festgehalten werden:
- Wichtiger Unterschied: Allgemeine vs. informationsorientierte Mediennutzung
Es ist wichtig, zwischen der allgemeinen Mediennutzung und der (politischen) informationsorientierten Nutzung von Medien und Plattformen zu unterscheiden. Welche Plattformen und Kanäle genutzt werden, hängt auch damit zusammen, welche individuellen Bedürfnisse befriedigt werden sollen. Dabei können grob Unterhaltungsbedürfnisse, persönliche Informationsbedürfnisse, konkrete Themeninteressen und das Bedürfnis nach einem Nachrichtenüberblick unterschieden werden. Beispielsweise bedienen klassische Kanäle wie das Fernsehen oder (online) Zeitungen vor allem Informationsbedürfnisse, während soziale Medien eher Unterhaltungs- und gruppenbezogene Bedürfnisse erfüllen. Aber auch hier gibt es Unterschiede: Während WhatsApp beispielsweise der mit Abstand am meisten genutzte soziale Dienst ist, spielt er für den Nachrichtenüberblick lediglich eine untergeordnete Rolle, wohingegen YouTube, Instagram und zunehmend auch TikTok für Jugendliche auch wichtige Kontaktstellen zu Nachrichten sind; für junge Erwachsene ist daneben Facebook wichtig.
- Kluft zwischen Teilgruppen: Interessiert und aktiv vs. Uninteressiert und passiv
Es zeigen sich Unterschiede zwischen gesellschaftspolitisch interessierten und nicht interessierten Nutzenden, zwischen aktiv Suchenden und passiv Mitnehmenden sowie zwischen partizipierenden und nicht-partizipierenden Jugendlichen. Beispielsweise informiert sich knapp die Hälfte (47%) der 14- bis 24-Jährigen mit formal höherer Bildung täglich über das aktuelle (politische) Geschehen, während dies lediglich ein Viertel (26%) der jungen Menschen mit formal niedriger Bildung tun (Vodafone, 2019). Die Aufbereitung der Studienlage zeigt, dass derartige Unterschiede in der Regel in einem engen Zusammenhang zum Alter und zum Bildungshintergrund stehen, wenn auch nicht ausschließlich.
- Gemeinsamkeiten: Motive der Nutzung, Angebote und Zugangswege, Wahrnehmung der Berichterstattung und Darstellungspräferenzen
Junge Generationen sind in Bezug auf die Nutzung unterschiedlicher (sozialer) Online-Plattformen und Darstellungspräferenzen sehr sprunghaft. Allgemein zeigt sich: Wenn es um überblicksartige Nachrichten und Informationen zu regionalen, landesweiten oder außen- und europapolitischen Themen geht, spielen klassische journalistische Angebote und Kanäle weiterhin eine große Rolle. So nennt ein Drittel der Jugendlichen bei der offenen Frage nach ihren drei wichtigsten Nachrichtenquellen das Fernsehen (32 %) und jeweils jede/-r fünfte das Radio (22 %) und das Internet (21 %) (JIM-Studie, 2021). Insgesamt erleichtern Video und Audio den Zugang zu Nachrichteninhalten, aber Interessierte lesen lieber. Und: Studienübergreifend zeigt sich, dass Nachrichten oft als wenig relevant und zu negativ wahrgenommen werden.
Info-Box: Hintergrund der Studiensynopse
In der Synopse wurde die Studienlage zu den zwei Bereichen Nachrichten- und Informationsnutzung sowie Medien- und Nachrichtenkompetenz sortiert und strukturiert aufbereitet. Dabei wurden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – maßgeblich Studien aus Deutschland in den Blick genommen, die Aussagen über die Verteilung von Nutzungs- und Kompetenzaspekten innerhalb einer Grundgesamtheit zulassen. Die Auswahl besteht aus insgesamt 25 aktuellen Veröffentlichungen. Die Erstellung der Synopse wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) unterstützt. Sie ist im Rahmen des bundesweiten #UseTheNews-Projekts zur Nachrichtennutzung und Nachrichtenkompetenz im digitalen Zeitalter entstanden, das von der dpa, dem Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut und dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) und verschiedenen Medienhäusern, Landesmedienanstalten, Bildungsinstitutionen und Stiftungen an der Nahtstelle von schulischer Bildung und Medienpädagogik durchgeführt wird.
Die Synopse zeigt, dass die Einschätzung, was und wer als kompetent gelten kann, der theoretischen und empirischen Konzeption des Kompetenzbegriffes unterliegt und je nach Perspektive variiert. Diese Vielfalt in den Herangehensweisen an den Kompetenzbegriff macht deutlich, dass es durchaus gewinnbringend ist, in unterschiedlichen Kontexten (politische, schulische, journalistische Bildung) mit verschiedenen Kompetenzbegriffen zu arbeiten. Allerdings erschwert dieser Umstand allgemeingültige Antworten zu der Frage, wie medien- bzw. nachrichtenkompetent Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland sind. Nichtsdestotrotz bilden sich zwei zentrale Aspekte in Bezug auf Kompetenzaspekte heraus:
1.Es gibt große Wissenslücken auf Seiten der Nutzenden – und auf Seiten (angehender) Lehrkräfte
Es bestehen große Wissenslücken über zentrale Funktionen von Medien und Journalismus, die Mechanismen in der Medienberichterstattung oder wie sich Quellen voneinander unterscheiden. Zwar sind mehrheitlich Grundkenntnisse vorhanden, allerdings fehlt konkretes Wissen, das sich auf Eigenschaften der heutigen Medienumgebung und Informationslandschaft (Algorithmen, Auswahl-Logiken, Erkennen von Missinformationen) sowie das Mediensystem und die Funktion von Journalismus innerhalb einer Demokratie bezieht. Beispielsweise haben insbesondere 18- bis 29-Jährige Schwierigkeiten richtig zuzuordnen, ob deutschlandweit bekannte Medienmarken wie die Süddeutsche Zeitung oder die FAZ privat oder öffentlich-rechtlich organisiert sind (Meßmer, Sängerlaub & Schulz, 2021). Über ein Drittel (38%) der Lehrkräfte sind sich unsicher, ob Medien in Deutschland eine Kritik- und Kontrollfunktion erfüllen sollen (Allensbach, 2020).
2. Es bestehen große Defizite in den Schulen als Ort des Kompetenzerwerbs
Es können zudem große Defizite hinsichtlich der Schule als Ort des Kompetenzerwerbs festgestellt werden. Dazu zählen die mediale Ausstattung sowie die Kompetenz der Lehrkräfte. Die studienübergreifend identifizierten Defizite beziehen sich zum einen auf die mediale Ausstattung, wozu auch der „technische und vor allem pädagogische IT-Support von Schulen“ (ICLIS, 2019) zählt, sowie auf die Kompetenz der Lehrkräfte und deren Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich der Medien- und Nachrichtenkompetenz.
Insgesamt haben vielen jungen Menschen ein großes Interesse an (politischen) Themenbereichen wie Nachhaltigkeit, Umwelt, Soziales und Gleichberechtigung, die mit ihrer Alltagsrealität verknüpft sind und daher als relevant und bedeutsam für das eigene Leben erachtet werden. Dabei greifen junge Nutzerinnen und Nutzer insbesondere bei der informationsorientierten Nutzung auf etablierte journalistische Angebote zurück und stellen in bestimmten Bereichen einen kompetenten Umgang mit Informationen in der digitalen Medienlandschaft unter Beweis. Allerdings steht dem gegenüber eine ebenfalls nicht zu vernachlässigende Teilgruppe junger Menschen, die weniger interessiert, informiert und aktiv ist; viele junge Nutzende vermeiden nachrichtliche Inhalte bzw. nutzen sie bewusst wenig, was – studienübergreifend – auch auf einen wahrgenommenen Negativdiskurs sowie eine fehlende Alltagsrelevanz von Themen in der Berichterstattung zurückzuführen ist. Gleichzeitig wächst insbesondere auf sozialen Netzwerkplattformen die Konfrontation mit Falschinformationen.
Für die (Bildungs-)Politik ergibt sich daher zum einen die Aufgabe der medien- und kompetenzbezogenen Wissens- und Anwendungsvermittlung und auf der anderen Seite muss der Ausbau der (schulischen) IT-Infrastruktur sowie der Ausbau der medien- und kompetenzbezogenen Aus-, Weiter- und Fortbildung von (angehenden) Lehrkräften vorangetrieben werden. Der Journalismus ist aufgefordert, transparente journalistische Angebote insbesondere für junge Publika zu entwickeln, wobei neben journalistischen Relevanzkriterien die Lebenswelt und der Alltag der Nutzenden in den Fokus gerückt werden sollte sowie zur Abgrenzung von nicht-professionellen Quellen Qualitätsstandards wie Geschwindigkeit und Wahrhaftigkeit eingehalten werden sollten.
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