Ob Spotify, Netflix, Amazon, Apple iTunes oder Mediathek: wer will, der kann zu jeder Zeit nach seinem Geschmack zwischen Playlist, Hollywood-Klassiker, TV-Serie, E-Book oder Podcast wählen. Wenn es um den Medienkonsum geht, dann hat die Digitalisierung das Versprechen „Wünsch dir was“ in einem Umfang eingelöst, der noch vor 20 Jahren unvorstellbar schien. Je jünger die Nutzer, desto selbstverständlicher erwarten sie Angebote, die ihnen zum kleinen Preis Zugang zur größtmögliche Auswahl geben. Für etwas zahlen, das ich nicht nutze? Das war gestern.
Doch dieses Prinzip der Personalisierung stellt einige Mediengattungen vor grundlegende Probleme. Dort wo bewährte Angebotspakete aufgeschnürt werden müssen („Unbundling“), um Inhalte auf Nutzerwunsch auch einzeln verfügbar zu machen, geraten Geschäftsmodelle ins Wanken. Die neue, in ihrem Medienkonsum auseinander driftende Abruf-Gesellschaft fordert die Macher von linearen Radio- und Fernsehprogrammen ebenso heraus wie die Verleger von Zeitungen und Zeitschriften.
Mit neuen Konzepten wie dem dateninformierten Publizieren haben vor allem Zeitungsverlage, ermutigt durch erste Erfolge in den USA und in Skandinavien, damit begonnen, die Vorlieben ihrer Kunden mit der konsequenten Analyse von Nutzungsdaten zu erkennen und ihre Inhalte-Angebote schrittweise zu personalisieren. Ein wichtiger Zwischenschritt ist dabei die sogenannte Segmentierung, die nicht mehr alle Leser von der Studentin bis zum Pensionär gleich behandelt, sondern je nach Lebenssituation, Nutzungskontext oder Themen-Vorlieben gruppiert.
Mit der Digital Revenue Initiative (DRIVE) wollen die dpa, die Unternehmensberatung SCHICKLER (Hamburg) und vier regionale Medienhäuser – das Medienhaus Aachen , die Mediengruppe Aschendorff (Münster), der Badische Verlag (Freiburg) und der Mittelbayerische Verlag (Regensburg) – jetzt die Einführung personalisierter Inhalte-Angebote deutlich beschleunigen.
Dabei gehen die Partner davon aus, dass die Personalisierung eine wesentliche Voraussetzung für die Steigerung digitaler Abo-Erlöse ist. Die wiederum gilt als Schlüssel, um nach skandinavischem Vorbild die wirtschaftliche Abhängigkeit von der gedruckten Zeitung schrittweise zu reduzieren.
In einem ersten Schritt werden die Beteiligten Nutzungsdaten analysieren, die Themenvorlieben der Leser ermitteln und Erfolgsfaktoren für Inhalte bestimmen. Welcher Inhalt passt am besten zu welcher Nutzergruppe in welchem Kontext – zum Beispiel unterwegs mit dem Smartphone oder auf dem Sofa mit dem Tablet? Wann ist ein Inhalte-Angebot stark genug, einen Leser von einem Abo zu überzeugen und ihn auch langfristig dort zu halten?
Mittelfristig will DRIVE die Redaktionen mit automatisierten Analysen und Algorithmen bei der Personalisierung des Inhalte-Angebots unterstützen. „Unsere Teams im Newsroom und in Vertrieb und Lesermarkt brauchen dringend Werkzeuge und datengestützte Empfehlungen, die ihnen ganz konkret dabei helfen, das Angebot im Tagesbetrieb besser auf die Nutzerbedürfnisse abzustimmen“, beschreibt etwa Manfred Sauerer, Chefredakteur und Geschäftsführer der „Mittelbayerischen Zeitung“ seine Erwartungen.
dpa und Schickler haben in den letzten Jahren mit verschiedenen Projekten wichtige Grundlagen für DRIVE gelegt. Die dpa etwa hat mit dpa-Performing Content und C-POP untersucht, wie ihre Inhalte dazu beitragen können, Nutzer länger im digitalen Medienangebot eines Kundenverlags zu binden.
Die Berater von SCHICKLER beschäftigen sich bereits seit längerem mit der Frage, wie Personalisierung die Chancen von Bezahlinhalten steigert und welche Rolle Künstliche Intelligenz und Algorithmen dabei spielen können.
Ein wichtiger Aspekt von DRIVE wird auch die Frage sein, wie Verlage in Zeiten begrenzter redaktioneller Kapazitäten Zugang zu zusätzlichen Inhalten bekommen, um auf mehr individuelle Themenwünsche reagieren zu können. Nationale Kioskmodelle kommen dabei für viele Regionalverlage aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Frage. So klagen etwa Verlage in den USA, dass Apple News zwar den großen überregionalen Marken zusätzliche Erlöse bringt, für lokale Anbieter, die dafür die überragend wichtige Bezahlbeziehung zum Kunden abtreten müssen, praktisch ohne Wirkung ist. DRIVE setzt dagegen eher auf arbeitsteilige Austauschmodelle. Lokale Zeitungsmarken sollen ihren jungen Lesern künftig auch vor Ort das Prinzip „Wünsch dir was“ anbieten können, ohne dabei ihre wirtschaftlichen Grundlagen zu gefährden.
Notizblock:
Meinolf Ellers
Chief Digital Officer
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LinkedIn: Meinolf Ellers
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