10 Jahre Scoopcamp: Von Daten, Drohnen & digitalen Auswanderern
Storytelling

10 Jahre Scoopcamp: Von Daten, Drohnen und digitalen Auswanderern

Es begann mit einer Beschwerde. Die Macher der Hamburger Digital- und Internetmedien klagten 2008, dass der jährliche Medien-Dialog des Senats im Hamburger Rathaus vor allem ein Treffen des traditionellen Verlags- und Rundfunk-Managements sei. Digitaler Journalismus, Innovation und das von Redakteuren und Entwicklern gemeinsam konzipierte „New Storytelling“ hätten dort einfach keinen Platz. Wenn Hamburg aber Medien- und Marketing-Hauptstadt sein wolle, brauche es für diese Trendthemen ein eigenes Eventformat.

Die Ansprechpartner beim Senat wollten den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. „Habt Ihr eine bessere Idee?“ Die dpa und die Senats-Initiative Hamburg@work mit ihrer Agentur Faktor3 übernahmen die Initiative. Im September 2009 luden sie zum ersten Scoopcamp ein. Der Veranstaltungsort hatte Symbolcharakter. Das Auswanderermuseum in der Ballinstadt auf der Veddel war wie gemacht, um digitale Einwanderer und digitale Eingeborene zusammen zu bringen.

Gleich die Premiere hatte es in sich und unterstrich das im Vergleich zu anderen Medienkongressen und –konferenzen ganz andere Profil des Scoopcamps: nach einem Vormittag mit erstklassigen Keynotes verteilten sich die Teilnehmer zu Workshops auf das gesamte Auswanderermuseum und diskutierten mitten in der Ausstellung zwischen Pappkoffern, Etagenbetten, Tauwerk und Gewürzsäcken über den Journalismus im digitalen Neuland.

Zum 10. Jubiläum am 27. September 2018 hat der Event längst seinen festen (Liege-)Platz im Kalender der deutschen Medienmacher gefunden, auch wenn er nach den ersten Jahren auf der Veddel (2009 bis 2012) und einem Intermezzo auf der Reeperbahn (2013) mittlerweile im Kehrwiedertheater in der Speicherstadt, gleich neben „Dungeon“ und Miniatur-Wunderland, vor Anker gegangen ist.

Wenn es um neue Technologien und ihre Chancen für den Journalismus ging, war das Scoopcamp immer vorn dabei. Als 2012 etwa der amerikanische Medienwissenschaftler Matt Waite die ersten Kameradrohnen über die Kongressbühne fliegen ließ und dem Drohnen-Journalismus eine goldene Zukunft prophezeite, schaffe es das Scoopcamp sogar in die „Tagesthemen“.

Matt Waite Drohnen-Journalismus
Auf dem Scoopcamp 2012 ließ der amerikanische Medienwissenschaftler Matt Waite die ersten Kameradrohnen fliegen und prophezeite dem Drohnen-Journalismus eine goldene Zukunft. Foto: Claudia Hettwer

Fast alle Stars des Daten-Journalismus kamen nach Hamburg und begeisterten mit immer neuen Ideen für Interaktion und Visualisierung. Den Auftakt machte 2009 Adrian Holovaty, der Gründer der lokalen Daten-Plattform Everyblock.com. Jeweils ein Jahr später folgten Aron Pilhofer (damals New York Times), Shazna Nessa (damals AP Interactive) und Simon Rogers (damals Guardian).

Die Chancen des iPads und des Tablet-Publishings loteten schon früh der Designer Oliver Reichenstein (2010) und Jochen Wegner (2011, damals mag10) in vielbeachteten Präsentationen aus. Die neuen Wege im Bewegtbild wiesen etwas der Kanadier Thomas Wallner und seine 360-Grad-Produktionen mit Deep Inc. oder Jigar Mehta und seine US-Plattform Fusion Media.

Der Engländer Thomas Rawlings (Auroch Digital) gab Einblicke in die Verknüpfung von Nachrichten und Online Games (2013), Orit Koppel, Geschäftspartnerin von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, präsentierte erstmals in Deutschland WikiTribune (2017), die Wiki-Vorstellung von einem Nachrichtenportal neuen Typs.

In besonderer Erinnerung blieb der Scoopcamp-Community der Besuch von Jeremy Gilbert, der 2016 vom beeindruckenden Comeback der „Washington Post“ berichtete. Gilbert, verantwortlich für den Umbau des legendären „Post“-Newsrooms, in dem einst Bob Woodward und Carl Bernstein der Watergate-Spur bis ins Nixons Oval Office folgten, pries den Elan seines neuen Verlegers Jeff Bezos. So wie der Amazon-Gründer seinen Verlag mit Startup-Denke und Technologie auf Zukunft trimmt, so haben sich in den vergangenen zehn Jahren viele Zeitungs- und Zeitschriftenhäusern auf den Weg gemacht. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda, der sein erstes Scoopcamp 2012 noch als Leiter des Amts Medien in der Senatskanzlei eröffnete, muss die Medien in seiner Eröffnungsrede längst nicht mehr von der Notwendigkeit des digitalen Wandels überzeugen. Der Kurs stimmt. Eher könnte manches noch ein bisschen entschlossener und konsequenter vorangehen.

Washington Post Scoopcamp
Jeremy Gilbert berichtete auf dem Scoopcamp 2016 vom beeindruckenden Comeback der „Washington Post“.  Foto: Johannes Arlt

Dass viele traditionsreiche Qualitätsmedien dank digitaler Innovation wieder im Aufwind sind, ist auch das Verdienst von Pionieren. Seit 2014 ehrt das Scoopcamp diese Vorbilder, die mit journalistischer Haltung, digitaler Kompetenz, aber vor allem auch mit unternehmerischer Leidenschaft den Wandel der Medien vorantreiben, mit dem Scoop-Award. Burt Herman, der es vom Kriegsreporter der AP über ein Stanford-Stipendium zum Storify-Gründer brachte, vereint als erster Preisträger diese Tugenden in idealer Weise. Ihm folgten Marten Blankesteijn (Blendle), Verena Pausder (Fox&Sheep) und Jigar Mehta (Fusion). Mit Jochen Wegner, dem Chefredakteur von ZEIT Online, wird der Scoop-Award 2018 einen Vordenker ehren, der bereits 2009 als Geschäftsführer von Tomorrow Focus Media bei der Scoopcamp-Premiere dabei war.

Sven Gösmann, Chefredakteur der dpa, überreicht den scoop Award an den Storify-Gründer Burt Herman (r). Foto: Christian Charisius/dpa

In der Ballin-Stadt, wo sich die Auswanderer vor einem Jahrhundert einfanden, um auf den Dampfern der Hapag ihr Glück in der Neuen Welt zu suchen, hat sich das Scoopcamp 2009 auf die Reise in die digitale Zukunft gemacht. Seitdem hat das „New Storytelling“-Event Jahr für Jahr viele Impulse und Ideen in die Branche gesendet. Ein bisschen dürften auch sie geholfen haben, dass viele Medien und ihre Macher im digitalen Neuland angekommen sind.

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